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Südsudan: Flüchtlingshilfe mitten im Kampfgebiet (Einsatzbericht)

Bericht vom 17.12.2014


Die Straßen im Kampfgebiet sind menschenleer.

Der folgende Einblick in die Mühen und Gefahren eines Flüchtlingshilfe-Einsatzes entstammt den Aufzeichnungen unsere Projektleiters Derek. Zu Beginn des Monats führte er eine Hilfsgüterverteilung in einer umkämpften Stadt im Norden Südsudans durch.

Früh um 4.30 Uhr wache ich auf, es ist Freitag, der 5. Dezember, und ein langer Tag liegt vor mir. Ich prüfe, ob ich alles Notwendige bei mir habe. Seltsam, obwohl dieser Einsatz wie immer sorgfältig geplant und bis ins Detail organisiert wurde, habe ich weniger denn je eine Vorstellung davon, wie er ausgehen wird oder was wir heute erleben werden. Das Ergebnis dieses Tages entzieht sich meinem Einfluss. Wir haben ein Flugzeug gechartert und Hilfsgüter für Flüchtlinge eingekauft. Doch wir bewegen uns in gefährlichem Kriegsgebiet – Ausgang ungewiss. Unser Fahrer holt mich ab, ich steige in den Wagen. Es ist noch dunkel. Meine beiden sudanesischen Freunde begrüßen mich. Sie sind ernst und schweigsam, ich spüre ihre Anspannung. Wir erreichen unsere Chartermaschine am Flughafen von Juba und stimmen mit dem Piloten unsere Planung ab. Währenddessen werden die Hilfsgüter verladen.

Der Flugplatz wird von Panzern und Luftabwehrwaffen geschützt. Unsere Maschine rollt in Startposition, und wir heben ab zu unserem zweistündigen Flug Richtung Norden. Unter uns fließt breit und majestätisch der Nil, mit fast 7.000 km der längste Fluss der Erde – ein überwältigender Anblick. Wir überqueren auch den Sudd, eines der weltgrößten Überschwemmungs- und Sumpfgebiete am Nil. Dieses Land ist so reich an Wasser und anderen Ressourcen, niemand sollte hier leiden müssen.

Nach der Landung erspähe ich ein weiteres Flugzeug, eine große Maschine der UN, umgeben von bewaffneten Blauhelmsoldaten und gepanzerten Fahrzeugen. Außerhalb von der Stadt gibt es ein großes Camp der Vereinten Nationen. Einer meiner Freunde spricht ein Gebet für unsere Sicherheit an diesem Tag. Als wir von Bord gehen, ist unsere Maschine plötzlich umringt von zehn Männern, darunter bewaffnete Soldaten und Sicherheitsleute mit dunkler Brille. Sie wollen wissen, was wir mitführen, wer wir sind und was wir vorhaben. Mein Herz setzt einige Schläge aus. Hoffentlich geht das gut – ich bin mit Freunden vom „falschen“ Stamm hier. Möglichst unauffällig ziehe ich mich in den Hintergrund zurück. Nach zehn Minuten höchster Anspannung können wir uns auf den Weg machen.

Die Straßen sind fast menschenleer, hier und da hastet eine Gestalt vorüber. Für eine Stadt dieser Größe ist es viel zu ruhig: kein Straßenlärm, keine spielenden Kinder, kein Gelächter, kein Rufen oder die übliche Geschäftigkeit. Bei Angriffen flüchten die Bewohner sich in Krankenhäuser und Kirchen, um Schutz zu suchen. Die Kirche, die wir in diesem Jahr schon einmal besucht hatten, war damals mit mehr als 4.000 Menschen völlig überfüllt. Es gab nicht genug Lebensmittel für alle, und viele mussten draußen unter den Bäumen schlafen. Dorthin machen wir uns nun auf den Weg. Wir treten ein und stehen vor vollständiger Verwüstung. Das Gebäude wurde geplündert und zum Teil niedergebrannt, alles andere zerstört. Auf dem recht großen Grundstück gab es mehrere Bauten. Jetzt herrscht hier Totenstille. Noch während wir uns sprachlos umsehen, kommen hier und da plötzlich Gesichter zum Vorschein: Einige Frauen und ein paar Männer. Die Erleichterung ist beiderseits spürbar. Leise und mit gesenktem Blick erzählen uns die Überlebenden die tragischen Einzelheiten des Überfalls. Es gab viele Tote, einige wenige konnten fliehen. Wir hören zu und versuchen zu ermutigen, doch das ist schwer. Dankbar helfen die Frauen und Männer beim Abladen der Hilfsgüter.

Wir machen uns auf zum nächsten Verteilungsplatz, wieder ein Kirchengelände, wo zu Beginn dieses Jahres Tausende Inlandsflüchtlinge Unterschlupf gesucht hatten. Das Bild, das sich mir beim Betreten der Kirche bietet, ist unbeschreiblich. Mir kommt nur ein einziges Wort in den Sinn: Apokalypse. Auch hier umfängt uns übermächtige, seltsam „betäubende“ Stille. Wir bahnen uns einen Weg durch überall verstreut liegende Habseligkeiten der Überfallenen. Fotos, Ausweise, Briefe, Kleidungsstücke von Kindern und Erwachsenen, Koffer, Schuhe, Töpfe, Bücher … der Anblick lässt sich kaum in Worte fassen.

Als wir unsere Lebensmittel verteilt haben, heißt es für uns, diesen Ort schnell und möglichst unversehrt wieder zu verlassen. Durch die öden Straßen fahren wir zurück zum Flugplatz, unter stetiger Beobachtung des Militärs. Neuer Schrecken und neue Anspannung, als ein Armeefahrzeug auf uns zu kommt. Tiefes Durchatmen, als es unmittelbar vor uns nach links abbiegt. Wirklich erleichtert sind wir jedoch erst, als wir wieder im Flugzeug sitzen und auf die Startbahn rollen, um zurück nach Juba zu fliegen. Dort angekommen suche ich mein Zimmer auf, emotional und physisch völlig ausgelaugt. Ich habe einen hoch angespannten, gefährlichen 16-Stunden-Tag in einem Kampfgebiet im Südsudan hinter mir.

Meine Mission ist erfüllt, die Arbeit getan. Beim Einschlafen muss ich wieder an die vielen verzweifelten Menschen und die Kinder denken und an das unaussprechliche Leid hier im Südsudan. In gerade einmal sechs Stunden werden wir uns schon wieder auf den Weg machen. Was wird der neue Tag wohl bringen?



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